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Perlenvorhang – Pipilotti Rist

Kunst am Bau

Die Planung neuer Gebäude bietet für Helvetia auch die Chance, mit Künstlern zusammenzuarbeiten. Bei Kunst-am-Bau-Projekten werden Kunstwerke «für den Ort» geschaffen. Kunst und Architektur sollen sich ergänzen und wie in einem Gesamtkunstwerk zusammenwirken.
Aufgeweckter Rosenscheitel
Ein Kunst-am-Bau Projekt von Pipilotti Rist

Zwei Leuchttürme für die Stadt Basel

Die Dachkränze des Helvetia Campus sind die virtuelle Leinwand für James Turrells Werk «Light Raiment 2024». Über 20 000 LED-Lämpchen tauchen die Gebäude in einem kaum wahrnehmbar ablaufenden Farbwechsel in atmosphärisches Licht. Die Beleuchtung wird von der Dachunterseite reflektiert und spiegelt sich in der Glasfassade wider, mischt sich mit dem Licht des Innenraums und lässt Farben und Räume miteinander verschmelzen. Die mit rund 24 000 handgegossenen Glaskacheln eingekleideten Fassaden der beiden Türme verleihen dem Lichtspiel eine zusätzliche Dimension. Die Installation wird jeweils von Sonnenuntergang bis zur Schliessung des Lokals zu sehen sein.

Clarity 2023

Am Eingang im Westturm, wo sich auch der Eingang zum Helvetia Art Foyer befindet, dürfen Besuchende ein weiteres Kunstwerk von James Turrell bestaunen. Das Werk Clarity 2023 aus der sogenannten «Diamond Glass» Serie. Eine Besonderheit dieser Arbeit ist die Diamantform, die sich auch in den Fassaden und zahlreichen weiteren architektonischen Details des Campusbaus von Herzog & de Meuron wiederfindet.

URSINAE – nach den Sternen greifen

URSINAE heisst das 120 m2 grosse Sternendach auf dem Bärenplatz in Ostermundigen. Wenn die Sonne scheint, werden die farbigen Glasfelder auf den Natursteinboden des Platzes reflektiert und tauchen diesen in ein buntes Farbenmeer. Mit dem Tageslauf der Sonne wandert der farbige Schatten des Dachs über den Platz und bildet sonnenuhrgleich die Zeit ab.

Die Sternenform des Dachs sowie die fliessenden Farbtöne wurden von den drei Sternkonstellationen des grossen Bären (Ursa Major), des kleinen Bären (Ursa Minor) sowie des Arcturus (Bärenhüter bei den alten Griechen) inspiriert. Letzterer ist in der französischen Sprache auch als Bouvier bekannt, was eine schöne Verbindung zum Familiennamen der Künstlerin erlaubt. Als weitere Inspirationsquellen dienten der Künstlerin die Architektur des Berner Münsters mit seinen prächtigen Glasfenstern und dem Kreuzrippengewölbe und der Bär als Berner Wappentier und Namensgeber des BäreTowers.

Das Kunstwerk URSINAE vor dem BäreTower in Ostermundigen.

Fotos: © Ioana Marinescu 

Ein gigantischer Farbspritzer

Die in aufwendiger Schablonentechnik realisierte aufsehenerregende Malerei zieht sich über 5 Etagen in die Höhe. Über ein leuchtend freundliches, vertikales Streifenmuster platzt ein riesengrosser, weisser Farbspritzer, und darauf nochmals ein weiterer immenser Klecks in tiefem Tintenblau. Die Arbeit heisst «Vollkasko». Massive Farbspritzer simulieren Flecken, die bei einem Unfall mit riesengrossen Farbtöpfen hätten passieren können. Spritzer an Wänden sprechen im Allgemeinen von Unfällen, von Vandalismus, von Verschmutzung und Beschädigung. Farbspritzer sind jedoch auch ein wichtiger Bestandteil des Vokabulars der Malerei rund um Farbe, Form, Geste, Energie und Dynamik. Der Titel «Vollkasko» spielt augenzwinkernd mit dieser Doppeldeutigkeit, denn eine Vollkasko-Versicherung deckt Schäden an besonders Wertvollem und Neuem.

Auszählreime im Verwaltungsratssaal

Hans Danusers künstlerische Intervention «Joggeli» erstreckt sich insgesamt über drei Räume des Gebäudes am Steinengraben 25. Sie beginnt im Entrée, konzentriert sich dann auf die Stirnwand des Verwaltungsratssaales und mäandert weiter über die Wandflächen des angrenzenden Gästerestaurants. Die Arbeit reiht sich ein in Danusers «Counting Out Rhyme Project» zum Thema Entscheidungsfindung und verweist damit spielerisch auf die Funktion des Verwaltungsratssaales als eines Ortes, an dem wichtige Findungsprozesse stattfinden und massgebliche Entscheidungen für das Unternehmen gefällt werden.

Der Künstler beschäftigt sich in diesem Projekt mit einem der ältesten Modelle der Entscheidungsfindung, dem Auszählreim, der in vielen verschiedenen Kulturen und verschiedenen Sprachen auch heute noch oft angewandt wird. Für die Wandbilder im Entrée und im VR-Saal hat Hans Danuser einen Auszählreim in Bregagliot (Dialekt aus dem Bergell) und einen in englischer Sprache gewählt und diese in Schriftbilder transformiert. Rhythmischen Partituren gleich legen sich die Worte über die beiden Wände und tauchen die Räume in eine jeweils eigene Farbstimmung und Atmosphäre. Im Gästerestaurant taucht dann, leicht wie eine Wolke, der namensgebende Vers aus dem Kinderbuch von Lisa Wenger auf, «Joggeli söll ga Birli schüttle». Zum ersten Mal verwendet Danuser hier einen Kinderreim und keinen klassischen Abzählreim.

Pyramiden in der Decke

Hauptmerkmal des Personalrestaurants am Steinengraben ist das facettenreiche Spiel zwischen Innen- und Aussenraum, zwischen Ort und Umgebung. Durch die Nord-Süd-Ausrichtung des lang gezogenen Raumes dringt viel Morgen- und Abendsonne durch die beiden Glasfassaden, also flach einfallendes, eher mildes Licht, das je nach Wetter und Jahreszeit vielfältig variiert. Die von Daniel Robert Hunziker gestaltete Decke des Personalrestaurants bietet diesen natürlichen Lichtstimmungen Projektionsflächen, über die sie visuell und atmosphärisch eine poetische Präsenz im Raum entfalten.

In die gesamte Decke wurden flache, dreieckige Pyramiden eingelassen, die in Form, Grösse und Anordnung einem frei interpretierten losen Raster folgen. Auf diese Weise entstand eine Vielzahl von unterschiedlich ausgerichteten Dreiecksflächen, die das einfallende Licht in Helligkeit und Farbe unterschiedlich reflektieren. Das Zusammenspiel zwischen skulptural geformter Decke und natürlichem Lichtspiel rhythmisiert den Innenraum zurückhaltend und doch prägnant. Gleichzeitig wird der Dialog mit dem attraktiven Ausblick über die Stadt und der Architektur des Gebäudes intensiviert.

Eine Farbendusche im Treppenhaus

Mit der künstlerischen Gestaltung des sechsstöckigen Treppenhauses, das einen Altbau mit einem Neubau verbindet, geht Pipilotti Rist auf die spezifischen architektonischen Gegebenheiten ein und schlägt einen Bogen zwischen einer traditionellen und einer modernen Architektur. Die Installation besteht aus tausenden farbigen, facettierten Kugeln, welche an Drähte gehängt wurden und den Eindruck eines grob verpixelten Bildes ergeben. Die Plastikperlen bilden einen bunten Vorhang. Das Aussenlicht, das auf die Kugeln trifft, wirft auf die Wände farbige Schatten, deren Form und Intensität sich je nach Tages- und Jahreszeit verändern. Pipilotti Rist spricht von einer «Farbdusche», die über alle sechs Stockwerke hinunterregnet und sie so miteinander verbindet. Die Arbeit trägt den Titel «aufgeweckter Rosenscheitel». Die Künstlerin hat eine Fensterrose geschaffen – eine zeitgenössische Variante jener Fenstermosaike in gotischen Kathedralen, die den Kircheninnenraum in stimmungsvolles Licht eintauchen.

Ein Treppenhaus in eigenem Kolorit

Vom Parterre ausgehend ziehen sich im Treppenhaus die Farbflächen bis zum Untergeschoss und bis in die vierte Etage. Auf der Decke des Untergeschosses ergiesst sich die Malerei in einem sanften Farbverlauf bis ins Foyer, dessen Decke grün-violett bemalt ist. Der vierte Stock, wo der Blick dank geschosshohen Fenstern in die Ferne gleiten kann, wird durch ein Türkis bestimmt, das im dritten Stock zusammen mit der Farbe Rot auf ein helles Violett trifft. Im zweiten Stock konkurrenzieren sich ein kräftiges Rot und ein ebenso knalliges Blau miteinander. Der erste Stock zeichnet sich durch eine violette Decke und pinke Wände aus, das Parterre durch Orange, das Untergeschoss durch dunkles Blau.

Die Strukturen des ungeschliffenen Betons zeichnen sich unter der Farbe ab und geben dem ganzen etwas Rohes, Unfertiges. Das beinahe fensterlose Treppenhaus verfügt über eine Anzahl von Herzog & de Meuron gestalteten Deckenlampen, die nicht nur Licht spenden, sondern auch spielerisch mit der Malerei interagieren, indem sie in der Dunkelheit die Farbe punktuell erhellen und so quasi mitmalen.

Text von Denise Frey