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Kultige Knast Kameraden: Lemonfish fertigt schmucke Taschen

Sie heißen Sissi, Heidi, Poldi oder handfester: Kameraden. Sie spielen im Alltag ihrer Besitzer tragende Rollen. Und sie haben die erste Zeit ihres Lebens hinter Gittern verbracht. – Die Taschen der Marke „Lemonfish“ entstehen nicht in fernöstlichen Nähereien, sondern hinter Schwedischen Gardinen. In deutschen Frauengefängnissen.

Text: Birgit Fahling, Fotos: Lemonfish

Schwedische Gardinen ausgemustert?

Die Idee ist nicht neu, zumindest nicht auf den ersten Blick: Aus gebrauchter Lkw-Plane, Segeltuch, Autogurten und Feuerwehrschläuchen recycelte Taschen sind seit langem Kult und haben eine ganze „Generation Umhängetasche“ geprägt. Auch Bettina Burchard und Alexandra Dittrich, die zwei Lemonfish-Gründerinnen aus dem Baden-Württembergischen Plüderhausen, denken in solchen Kreisläufen. Mit ihren eigenwilligen Kreationen setzen sie auf Nachhaltigkeit und Langlebigkeit. Gefertigt aus dem schweren grünen Stoff ausgemusterter Seesäcke der Bundeswehr, stehen ihre robusten Taschen Trägerinnen und Trägern zur Seite wie treue Begleiter: zuverlässig und praktisch unverwüstlich. Die Assoziation soldatischer Verbundenheit ist durchaus beabsichtigt.

Sich öffnende Gefängnistüren

Was Lemonfish von den trendigen Messenger Bags, Handbags und Wallets anderer Hersteller unterscheidet, ist neben den besonderen Produktionsorten – Justizvollzugsanstalten wie die JVA Schwäbisch Gmünd – der ungewöhnliche Hintergrund der Produzentinnen: Es sind weibliche Strafgefangene, die dem widerständigen Material auf die spröde Pelle rücken. Und zwar mit vollem körperlichen Einsatz: „Einen Seesack aufzuschneiden und aufzutrennen ist Schwerstarbeit“, erklärt Bettina Burchard.

Wichtig ist den beiden Unternehmerinnen, die sich auch ein bisschen als Psychologen und Sozialpädagogen sehen, der enge persönliche Kontakt zu den Menschen, die ihre Produkte zur Welt bringen: „Die Frauen erfahren, dass ihre Arbeit geschätzt wird, sie produzieren Dinge, die gefragt und beliebt sind. Sie werden zu einem Teil des Erfolgs, und das macht sie stolz.“ Obwohl soziale Nachhaltigkeit und Resozialisierung zu Beginn gar nicht einmal im Vordergrund standen, bewegen sich heute Herz und Geschäft im selben Rhythmus. Wie konsequent die Zitronenfisch-Philosophie inzwischen gelebt wird, zeigt allein schon die Tatsache, dass ehemals inhaftierte Frauen in der eigenen Musternäherei beschäftigt werden – als vollwertige Arbeitnehmerinnen mit neuer Zukunftsperspektive.

Das zweite Leben der Dinge

Wer bei Lemonfish spartanisches Knast- oder grobes Military-Design erwartet, wird enttäuscht. Das Angebot ist vielfältig, bunt und sogar ein bisschen verspielt. Die Taschen gibt es als Laptoptaschen, Handtaschen, Aktentaschen, Reisetaschen, Beuteltaschen, Kulturtaschen. Ja, sogar Geldbörsen und Handyhüllen können Kunden mit dem Faible fürs Besondere ordern.

Für die Herstellung wird der Seesack-Stoff zunächst sorgfältig geprüft, gereinigt und aufgearbeitet. Er wird mit ausgesuchten Stoffen kombiniert, mit Leder oder hochwertigen Aluminiumdetails. Oder verziert mit Schleifen, Borten und Swarovski-Kristallen. Die vorgefundenen Materialien und Größen differieren dabei genauso stark wie ihr Zustand: Jedes Stück hat unterschiedliche Gebrauchsspuren und lädt zu einem bestimmten Einsatz oder zu einer bestimmten Verarbeitung ein. Das fordert die Kreativität und Flexibilität der Macherinnen. Und nur so entstehen schließlich unverwechselbare Unikate, die die Spuren ihrer bewegten Vergangenheit mit sich tragen.

Preiswürdig statt preiswert

Lemonfish-Produkte sind im Gegensatz zu Massenware liebevoll und aufwändig hergestellt und sollen bei ihren Käufern materielle Wertschätzung genießen. Zum Discount-Preis sind sie daher nicht zu haben, wie die Macherinnen betonen. Als Accessoires mit besonderer Herkunft und Herstellung vereinen Taschen und Täschchen einen spannenden Kontrast in sich: zwischen Knochenarbeit und handwerklichem Geschick, zwischen unempfindlicher Schale und Komfort im Innenbereich, zwischen Kommerz und Engagement. Vielleicht ist das der Grund, warum das ambitionierte Label beim Landespreis Baden-Württemberg 2012 unter den „Top Ten“ landete?
 

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